#1. Einleitung zu einem neuen Substack
Hier möchte ich euch eine Vorstellung davon geben, worum es in dieser Serie von Briefen von mir (Peter Gray) an euch geht. (übersetzt von Max Sauber)
Im späten 18. Jahrhundert schrieb der deutsche Dramatiker, Dichter und Philosoph Friedrich Schiller: "Der Mensch spielt nur, wenn er im vollsten Sinne des Wortes ein Mensch ist, und er ist nur ganz Mensch, wenn er spielt."
Wie weit können wir mit dieser Aussage gehen, wenn wir sie nicht nur als ein Stück Poesie oder philosophische Träumerei betrachten, sondern als eine wissenschaftliche Wahrheit über die menschliche Natur? Darum geht es in dieser Reihe von Briefen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga ein Buch mit dem Titel "Homo Ludens", eines der wenigen klassischen Werke über das menschliche Spiel. Der Titel impliziert, dass wir vielleicht mehr Humo Ludens (spielerische Menschen) sind als Homo sapiens (weise Menschen - ein Name, den wir uns selbst unbescheidenerweise gegeben haben). Ich liebe den Titel von Huizingas Buch und habe viel aus dem Inhalt gelernt, aber der Inhalt wird dem Titel nicht gerecht. Im Vorwort schreibt Huizinga: "... das Spiel wird hier nicht als biologisches, sondern als kulturelles Phänomen verstanden. Es wird historisch, nicht wissenschaftlich betrachtet."
Was wäre, wenn wir unsere spielerische Natur wissenschaftlich angehen und versuchen würden, sie als biologisches (und psychologisches und anthropologisches) Konzept zu verstehen? Darum geht es in dieser Reihe von Briefen.
Hier sind einige der Fragen, denen wir in dieser Reihe nachgehen werden:
Wie unterscheiden wir Menschen uns von anderen Tieren, insbesondere von anderen Affen, in unserer Verspieltheit?
Wie hat unsere Verspieltheit es uns ermöglicht, im Gegensatz zu anderen Primaten in Gruppen mit mehreren Männern und Frauen zu leben, zu teilen und zu kooperieren?
Wie könnte die weibliche Partnerwahl zum Anstieg der Verspieltheit und zum Rückgang der Aggressivität in der menschlichen Evolution beigetragen haben?
Inwiefern könnte die symbolische Natur des Spiels eine Grundlage für die Entstehung der menschlichen Sprache gewesen sein?
Inwiefern bildet das Spiel eine Grundlage für die menschliche Moral?
Wie wirkt der Spieltrieb dem Dominanztrieb entgegen, wenn wir dem Spiel freien Lauf lassen?
Wie unterscheiden sich die spielerischen Religionen der Jäger und Sammler in ihren sozialen Auswirkungen von den hierarchischen, furchteinflößenden Religionen, die aus der Landwirtschaft und dem Feudalismus hervorgegangen sind?
Inwiefern bietet unsere Homo Ludens-Natur eine Atempause und mögliche Erlösung von unserer den Planeten zerstörenden Homo Economicus-Natur?
Inwiefern bilden das Spiel und die Neugier der Kinder die natürliche Grundlage für Bildung, d. h. für die einzigartige menschliche Fähigkeit zur kulturellen Aneignung?
Was geschieht, wenn Kindern das Spiel vorenthalten wird, wie es heute der Fall ist?
Wenn das Spiel so wertvoll ist, so sehr zu unserer Natur gehört, warum wurde es dann so lange von den gesellschaftlichen Kräften verunglimpft?
Wenn das Spiel so wertvoll ist, so sehr zu unserer Natur gehört, warum schenken Psychologen ihm dann so wenig Aufmerksamkeit?
Inwiefern ist das Spiel eine der beiden "Mütter der Erfindung" (die andere ist die Notwendigkeit), und wie unterscheiden sich die Nachkommen dieser beiden Mütter?
Was können wir tun, um unsere eigene, persönliche Verspieltheit zu steigern?
Was können wir tun, um das Spiel und die Verspieltheit in der Welt, in der wir leben, zu fördern?
Ich sagte, dass WIR diese Themen erforschen werden, und ich lade dich ein, Teil dieses "Wir" zu sein. Ein Grund dafür, dass ich mich für Substack entschieden habe, ist, dass die Leser die Möglichkeit haben, Kommentare abzugeben und damit einen Beitrag zu leisten. Ich schreibe seit langem einen Blog für Psychology Today, aber vor ein paar Jahren haben die Redakteure aufgehört, Kommentare zuzulassen, was die ganze Sache für mich weniger lustig (weniger spielerisch) machte.
Ich freue mich über Kommentare und lerne aus ihnen. Ich werde nicht die Zeit haben, auf alle Kommentare zu antworten, aber ich werde versuchen, sie alle zu lesen, und sie werden mein Denken und Schreiben im weiteren Verlauf beeinflussen. Gelegentlich werde ich diesen Newsletter auch als Informationsquelle nutzen, indem ich kleine Umfragen durchführe, um die Gedanken oder Erfahrungen der Leser zu einem bestimmten Thema zu erfahren. Ich hoffe, du wirst dich daran beteiligen. Natürlich bitte ich euch um eine respektvolle Haltung in allen Kommentaren, besonders wenn ihr auf einen Kommentar eines anderen antwortet.
Abschließend möchte ich Euch im Rahmen dieser Begrüßung etwas über mich erzählen. Ich bin ein Forschungsprofessor für Psychologie und Neurowissenschaften am Boston College. Ich bin Autor des ersten einführenden Psychologie-Lehrbuchs, das die gesamte Psychologie aus einer evolutionären Perspektive betrachtet, und des Buchs Free to Learn: Why Releasing the Instinct to Play Will Make Our Children Happier, More Self-Reliant, and Better Students for Life, (Deutsche Ausgabe: Befreit lernen: Wie Lernen in Freiheit spielend gelingt) das in 18 Sprachen übersetzt wurde. Ich habe viele wissenschaftliche Artikel über Spiel und selbstbestimmte Bildung veröffentlicht, von denen du viele auf meiner Website finden und herunterladen kannst.
Ich danke euch, dass ihr diesen ersten, einleitenden Brief gelesen habt. Abonniere diese Reihe jetzt, falls du sie noch nicht abonniert hast, und informiere bitte andere, die daran interessiert sein könnten, über diese Briefserie.
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Peter Gray 18 APR 2023
Anmerkung des Übersetzers:
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