#11 Gibt es bei Selbstbestimmter Bildung Gründe für Legasthenie-Fördermaßnahmen?
Was wäre, wenn Schule Legasthenie verursacht? von Je’anna L Clements
Als ich mich auf das Schreiben dieses Buches vorbereitete, schickte ich einen Aufruf an eine Reihe von Einrichtungen, die von der Sudbury Valley School inspiriert sind, um herauszufinden, welche Erfahrungen sie mit Legasthenie gemacht haben. Ich erhielt nur sehr wenige Antworten - vielleicht aufgrund der Pandemie, vielleicht aber auch, weil die meisten derartigen Bildungseinrichtungen einfach nicht an einem Thema interessiert sind, das sie nicht sonderlich berührt, oder weil sie nichts zu berichten haben, weil sie, wie Greenberg, dem Thema nicht begegnet sind. Da es bei Selbstbestimmter Bildung kein festgelegtes Alter gibt, bis zu dem junge Menschen lesen lernen „sollten“, ist es sehr, sehr selten, dass jemand mehr Hilfe braucht, als ein gebildeter Erwachsener geben kann - zum Beispiel, um ihnen zu sagen, wie man ein bestimmtes Wort schreibt.
Im Allgemeinen bestätigen Lernbegleiter selbstbestimmt lernender junger Menschen, dass man darauf vertrauen kann, dass diese - einschließlich derjenigen, bei denen Legasthenie diagnostiziert wurde - ihren Lernweg selbst finden und um Hilfe zu bitten, wenn sie sie brauchen - wenn sie entscheiden, dass sie sie brauchen; wenn sie über ein reichhaltiges Umfeld verfügen und viel Zugang zu unterstützenden Erwachsenen haben (und andere optimierende Bedingungen Selbstbestimmter Bildung, auf die ich hier nicht eingehen werde).
Eine Antwort kam von Melissa Graham, die früher als Lesespezialistin in Regelschulen gearbeitet hat, bevor sie zu der Überzeugung gelangte, dass es lohnenswert wäre, eine Sudbury-artige Einrichtung mitzugründen, die sie jetzt leitet. Sie ist nicht nur Lesespezialistin, sondern auch Mutter eines dyslektischen Sohnes, der mit 11 Jahren zu lesen begann. Ich habe sie gefragt, ob es ihrer Meinung nach Gründe gibt, proaktiv in den Leseprozess eines jungen Menschen einzugreifen, ohne darum gebeten zu werden. Sie antwortete: „Der einzige Grund, aus dem man eingreifen sollte, ist, um der Gefahr zu begegnen, dass die Person beginnt, sich eine negative Geschichte über sich selbst zu erzählen. Es ist wichtig, einen Dyslektiker als solchen zu bezeichnen, um sein Inneres zu schützen und der Erzählung eine positive Richtung zu geben: Dyslektiker sind brillant! Ich hatte das Glück zu entdecken, dass kein Dyslektiker dem anderen gleicht. Sie sind alle höchst unterschiedlich und einzigartig.“
Die Notwendigkeit, negative Selbstwahrnehmungen zu verhindern, wurde auf ironische Weise von einer anderen Mutter bestätigt, die in einem anderen Modell einer zwangfreien Alternativschule arbeitet. Ihre Erfahrung ist, dass „Lesen und Rechnen behindert werden können, wenn sie zu früh erzwungen werden, und dass diese Fähigkeiten in jedem Alter erlernt werden können, wenn die Person sich freiwillig damit befasst - es gibt kein Entwicklungsfenster. Wenn jemand sich bereitwillig darauf einlässt, dauert es nur ein paar Monate - und die Bücher zu lesen, die man lesen will, ist der beste Weg, um flüssig Lesen zu lernen. Aber kulturell ist es eine andere Sache. Das erste Buch meines Sohnes war Jurassic Park, im Alter von 10 Jahren. Er liebte den Film und wollte mehr davon, also saß er einen Monat lang mit dem Buch auf seinem Bett und lernte Lesen. Eine gute Sache. Aber viel später erfuhr ich, dass er eigentlich dachte, er sei dumm, weil er es später als seine Altersgenossen gelernt hatte, und das hat er nie wirklich überwunden. Er dachte, alle liebten ihn zu sehr, um es ihm zu sagen! Das ist nach hinten losgegangen!“
Was wäre, wenn. . .
Was wäre, wenn der Gedanke, er sei dumm, das Lesen lernen verzögert hätte? Was wäre, wenn er ohne diese Annahme das Selbstvertrauen gehabt hätte, mit 9 Jahren lesen zu lernen? Diese Frage wird im letzten Abschnitt des Buches behandelt.
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Bemühungen von MadeByDyslexia, das öffentliche Bewusstsein für die Vorteile der Dyslexie zu schärfen, einen bedeutenden Unterschied bei derartigen Erfahrungen machen können.
Während des Schreibens dieses Buches hatte ich auch das Glück, mit Justine McConville zu sprechen, einer Lesespezialistin, die zum Personal der „SDE Village Free School“ gehört und jungen Unschoolern auf deren Wunsch Lesehilfe anbietet. Sie bestätigte, dass sie selbstbestimmt lernenden jungen Menschen begegnet, die sich abmühen und Hilfe brauchen - üblicherweise allerdings erst, nachdem sie in der Regelschule schon einige Schäden davongetragen haben, oder durch soziale Einflüsse, welche kulturelle Mythen und Vorurteile mit sich bringen. Entscheidend ist für sie, dass die jungen Menschen die Verantwortung für die Beziehung und die angebotene Hilfe behalten. „Ich strebe nur Beziehungen an, die auf Einverständnis basieren. Ich habe (zuvor) Erfahrungen mit Kindern gemacht, die nicht aus freien Stücken dabei waren, und das ist einfach eine falsche Beziehung, es belastet sie emotional noch mehr, zusätzlich zu dem Verhältnis, das sie zu ihrer eigenen schulischen Identität haben, und dann müssen sie auch noch etwas gegen ihren Willen tun, um etwas, was mit ihnen „falsch“ ist, in Ordnung zu bringen.“ (Meine Niederschrift der gesprochenen Worte während eines Gesprächs, das ich mit ihr führte).
Beide Antworten beinhalten den Gedanken, Autonomie, Kompetenz und Ver- bundenheit zu fördern.
Ich empfehle Ihnen, sich ein eindrucksvolles Gespräch zwischen Justine und Lynn anzuschauen, die Lehrerin für Förderunterricht an einer Regelschule ist. Darin geht es um die Art von Einsichten, die ich mit diesem Text für mich selbst untersuche. Wenn es nur eine weitere Sache gibt, der Sie im Zusammenhang mit Legasthenie nachgehen, dann sollte es diese sein: „Talking About Dyslexia: A Conversation between Lynn Chambers und Justine McConville“.