Teil 4 – Das Spiel
4.1 Die Rolle des Spiels in der Selbstbestimmten Bildung
"Der andere wichtige Lernbereich für Menschen ist das Spiel. Spielen bedeutet, einem Handlungs- oder Denkweg frei zu folgen ... Wir alle haben unsere Lieblingsspiele. Und wenn wir darüber nachdenken, sind die Dinge, die uns am besten gefallen, oft die Dinge, die uns neuen Mut geben, die Dinge, zu denen wir zurückkehren, wenn wir Aufmunterung brauchen. Spielen ist für die Kreativität von entscheidender Bedeutung. Wenn man nicht frei sein kann, neue Wege zu beschreiten, kann man nicht viel erreichen ... Beim Spielen erreicht man nicht nur Dinge, sondern man stärkt auch das Wissen, dass man immer mehr erreichen kann, dass man seine eigenen Grenzen erweitern kann. Durch das Spielen kommt man mit sich selbst als kreativem Menschen in Kontakt. Durch das Spielen erweitert sich der Horizont ständig. Es gibt nichts Wichtigeres, von klein auf an.“
Mimsy Sadofsky, Sudbury Valley School
Im Herzen der Selbstbestimmten Bildung steht das Spiel.
Aber was genau ist das SPIEL?
Ich habe meinen Sohn nach seiner Meinung gefragt und er sagte, dass es zu komplex für nur eine Definition sei. Ich denke, er hat Recht. Da wir also wissen, dass wir das Spiel spielerisch erforschen, anstatt zu versuchen, eine saubere und ordentliche Definition oder „Antwort“ zu finden, wollen wir uns etwas Zeit damit nehmen.
Selbstbestimmte Bildung ist keine „Spielbasierte Bildung“ in dem Sinne, wie dieser Begriff derzeit in der Zwangsbeschulung verstanden wird. „Spielbasierte Bildung“ ist ein Versuch, reale Erfahrungen einzubeziehen, um ansonsten abstraktes Lernen zu verankern; sie dient direkt akademischen Zielen und ist ein Versuch, die sprichwörtliche Prise Zucker zu verwenden, um die Medizin schmackhafter zu machen. Sie wird oft als ein leider notwendiges Zugeständnis an „kindische“ Dinge betrachtet, da kleine Kinder oft noch nicht in der Lage sind, auf „ausgefeiltere“ Weise effektiv zu lernen.
Die Forschung weist zunehmend auf die Bedeutung des Spielens beim Lernen hin und identifiziert „Spielfähigkeiten“ als Grundlage akademischer Fähigkeiten. Aus diesem Grund geht die spielbasierte Bildung manchmal so weit, dass sie anerkennt, dass das Spiel tatsächlich für die Bildung notwendig ist – wenn auch meist nur in der sogenannten „Grundphase“, bei Kindern unter etwa zehn Jahren.
Die Reform Pädagogische Schulen betrachtet das Spiel im Allgemeinen als wertvoll und notwendig für effektives Lernen und räumt dem Spiel manchmal sogar einen Wert an sich ein – ist aber dennoch der Ansicht, dass für die Bildung auch etwas anderes als das Spiel erforderlich ist.
Die SDE ist der Ansicht, dass Spielen nicht nur notwendig ist, sondern auch für die Bildung ausreicht.
Das ist eine ganz andere Haltung. Junge Menschen in der SDE können sowohl arbeiten als auch spielen – aber wenn sie immer nur spielen, ist das kein Problem.
Um diese Haltung zu verstehen, lassen Sie uns einen Moment darüber nachdenken: Wo hört das Spielen auf und wo beginnt die Arbeit?
Ich habe gesehen, wie junge Menschen vor körperlicher Erschöpfung zusammengebrochen sind – es kann also nicht am Grad der körperlichen Anstrengung liegen.
Ich habe gesehen, wie sie beim Spielen ihre mentalen Grenzen bis zum Äußersten ausgereizt haben – es kann also nicht am Grad der mentalen Anstrengung liegen.
Es geht nicht um Ernsthaftigkeit oder Vertiefung: Versuchen Sie, einen jungen Menschen mitten im Spiel zu unterbrechen, damit er nach Hause gehen kann, und Sie werden feststellen, dass er das Spiel in der Tat sehr ernst nimmt.
Es geht nicht um das Maß an Verantwortung oder Engagement – auch hier können junge Spieler die Dinge auf die Ebene des virtuellen Martyriums bringen, wenn das Spiel es erfordert.
Es kann nicht um die Art der Aktivität gehen, denn bei SDE habe ich gesehen, wie junge Menschen spielerisch fortgeschrittene Mathematik/Naturwissenschaften, klassische Literatur, Fitness und vieles mehr in Angriff genommen haben. Andererseits können auch Videospiele Arbeit sein. Ein Jugendlicher im Alter von 10 Jahren erzählte mir, dass er Cyberathlet werden wolle. Er spielte mit großem Eifer das Shooter-Spiel Counter-Strike und liebte jede Minute. Mit 12 hatte er aufgehört: Der Wettbewerbsdruck hatte es in Arbeit verwandelt, sagte er, und es machte ihm keinen Spaß mehr.
Eine offizielle Definition von Spiel lautet: „eine Tätigkeit, die zum Vergnügen und zur Erholung ausgeübt wird und keinem ernsthaften oder praktischen Zweck dient“. Wenn wir uns das Spiel jedoch genauer ansehen, erkennen wir, dass überall ein ernsthafter und praktischer Zweck eingebaut ist – von Babys, die spielen, um laufen zu lernen, bis hin zu Teenagern, die ihre Fähigkeiten bei „Wahrheit oder Pflicht“ auf die Probe stellen.
Der einzige Unterschied zwischen „Arbeit“ und „Spiel“ scheint mir der Wille und die Freude zu sein. Man kann Stühle als Tischler-„Hobby“ bauen und es gilt als Spiel; verkauft man diese Stühle, ist es plötzlich „Arbeit“ – es sei denn, man liebt es immer noch genauso sehr, dann ist es das Spiel, das sich auszahlt. Immer mehr Menschen erkennen, dass sie Wege finden können, ihren Lebensunterhalt mit Spielen zu verdienen.
Der Unterschied scheint in der Quelle der Motivation zu liegen. Wenn die Motivation autonom bleibt, ist es ein Spiel. Kontrollierte Motivation macht daraus Arbeit. „Arbeit“ ist etwas, das wir aus Pflichtgefühl, Angst vor Konsequenzen oder aus der Notwendigkeit heraus tun, die Früchte unserer Arbeit zu ernten, und etwas, dem wir uns vielleicht entziehen wollen.
Das soll nicht heißen, dass es in SDE nie Arbeit gibt – ich denke sofort an junge Leute, die ihr Geschirr mit einem Seufzer abwaschen und sich wünschen, woanders zu sein. Aber es bringt nichts, etwas mit einer „Arbeits“-Einstellung zu tun, und wahrscheinlich mehr Wert und Lernerfolg, wenn eine spielerische Einstellung die Quelle derselben Aktivität ist. Ich kenne eine junge Person, die nie unter Druck gesetzt wurde, Hausarbeiten zu erledigen, und die manchmal das Geschirr spült oder ihr Zimmer aufräumt, und zwar mit demselben Geist, mit dem sie Puppen-Teepartys veranstaltet.
„Ein Meister der Lebenskunst unterscheidet nicht scharf zwischen seiner Arbeit und seinem Spiel, seiner Arbeit und seiner Freizeit, seinem Geist und seinem Körper, seiner Bildung und seiner Erholung.“
– L. P. Jacks, Education Through Recreation
Manche würden argumentieren, dass Spielen eine Aufhebung des Realen beinhaltet – dass Spielen immer eine Simulation oder ein „Vorgeben“ beinhaltet. In seinem Buch „Worlds in Creation“ weist Daniel Greenberg darauf hin, dass Spielen eine modellbildende Tätigkeit ist. Es kann eine Möglichkeit sein, Hypothesen zu testen, bevor sie reale Konsequenzen nach sich ziehen. Daran ist viel Wahres, fast immer.
Ich kann Ihnen jedoch aufrichtig sagen, dass ich gerade spiele, während ich dies schreibe, und die Suche nach der optimalen Formulierung genieße; und dass es für mich ein fesselndes Strategiespiel ist, SDE auf globaler Ebene rechtlich schützen zu lassen.
Beide sind in der Realität verankert, nicht in der Simulation, und beide sind für mich reizvolle (wenn auch sehr ernste) Aktivitäten mit realen Konsequenzen und Einsätzen, die mir wichtig sind. Um es mit den Worten von Daniel Greenberg zu sagen: "Ich bin beharrlich, wie ein Kleinkind, das wiederholt nach einem Gegenstand greift, bis es ihn bekommt, um „die Passform des Modells an (meine) Realität anzupassen“.
„Spielen ist die Mutter aller disziplinierten Aktivitäten“
– Daniel Greenberg, Sudbury Valley School
So wie O. Fred Donaldson der Ansicht ist, dass es einen wichtigen Unterschied zwischen „Original Play“ und „Cultural Play“ gibt, während Daniel Greenberg der Ansicht ist, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen Spielen mit und ohne „Regeln“ gibt, da selbst das fantasievolle Einzelspiel immer noch stark strukturiert ist, gibt es viele verschiedene Perspektiven auf das Spielen – und wahrscheinlich sind sie alle „richtig“.
Der Forscher Bob Hughes hat eine Liste mit sechzehn verschiedenen Spielarten erstellt, während Mildred Parten Newhall sechs Spielarten vorstellte. Die Listen überschneiden sich überhaupt nicht, da sie das Spiel aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.
Und keine dieser Listen deckt das ursprüngliche Spiel oder das Bindungs- bzw. Attachment-Spiel genau ab, und die wachsende Disziplin der „Spieltherapie“ hat auch ihre ganz eigenen Listen. Vielleicht möchtest du dir all diese zum eigenen Vergnügen ansehen – obwohl es für einen Lernbegleiter in der Selbstbestimmten Bildung kein notwendiges Wissen ist, da sich junge Menschen ohnehin mit all diesen beschäftigen werden, ob du davon weißt oder nicht.
Entscheidend ist zu verstehen, dass Spielen in der Selbstbestimmten Bildung nicht etwas ist, das wir als Abwechslung zu echten Bildungsaktivitäten tun. Spielen, egal welcher Art, IST eine echte Bildungsaktivität.
Hier sind einige Ressourcen, die ihr euch genauer ansehen könnt:
The Decline of Play, von Dr. Peter Gray
Die Substack Reihe “Spielen Macht Uns Menschlich” von Peter Gray
#2. Was genau ist dieses Phänomen, das wir Spiel nennen?
Ein Grund, der manchmal für die relativ geringe wissenschaftliche Forschung zum Thema Spiel angeführt wird, ist, dass das Konzept schwierig oder unmöglich zu definieren ist. Das ist meiner Meinung nach eine schlechte Ausrede, aber ich stimme zu, dass eine wissenschaftliche Untersuchung einer Sache mit einem gemeinsamen Verständnis dessen, was wir unters…
PDep-20: Die gruseligste Nebenwirkung von Covid-19 ist nicht das, was ihr vielleicht denkt
Ein Aufsatz, den ich über Spielentzug geschrieben habe und der sich mit dem Schaden befasst, der entsteht, wenn es zu wenige Möglichkeiten für soziales freies Spiel gibt. (Anmerkung des Übersetzers: Schreibt mir falls ihr euch eine Übersetzung des Aufsatzes wünscht)
The Animal Hospital, von Wendy Lement
Ein wunderbarer Aufsatz, der eine ausgedehnte Spielaktivität dokumentiert, verfügbar auf dem Blog der Sudbury Valley School.The Results of Freedom, by Mimsy Sadolfsky
Ich habe diesen Text als Leseempfehlung aufgenommen, insbesondere im Hinblick auf den Plastilintisch und die Steine – wenn ihr wenig Zeit zum Lesen habt, könnt ihr diese Abschnitte nach Wörtern durchsuchen, obwohl sich das Ganze wie immer sehr gut zum Lesen eignet. Er ist auch auf dem Blog der Sudbury Valley School verfügbar.Daniel Greenberg on Play from Worlds in Creation
Dieses Kapitel ist als Teil der Online-Buchvorschau verfügbar und beginnt auf Seite 45. Wie immer ist auch das gesamte Buch sehr empfehlenswert, da es verschiedene Themen behandelt.