#20 Ein Punkt, durch den die Schule definitiv, unbestreitbar Legasthenie verursacht
Was wäre, wenn Schule Legasthenie verursacht? von Je’anna L Clements
Welcher Anteil der Bevölkerung hat Dyskulinaria? Wie viele haben Dysautomobilie?
Dysequinaria?
Keine Ahnung? Warum nicht?
Manche Leute können wirklich nicht kochen, egal wie sehr sie es versuchen. Ich habe persönlich mindestens zwei kennengelernt. Nein, das gibt es wirklich.1 Mir fallen da ein paar scheußliche Autofahrer ein, die wirklich nicht fahrlässig scheinen, nur sehr. . . unbegabt, sowie ein paar, die sich komplett weigern, überhaupt fahren zu lernen. Die Fähigkeit zu kochen und die Fähigkeit, ein Auto zu fahren, sind beides grundlegende Fähigkeiten, die für ein verantwortungsvolles Leben als Erwachsener in unserer Kultur notwendig sind. Warum kümmert es uns nicht, wenn junge Menschen die Schule abschließen, ohne beides zu beherrschen?
Ein Pferd reiten? Heutzutage ist das nicht mehr so wichtig, aber Sie hätten vor ein paar Generationen einmal versuchen sollen, in höheren Kreisen erfolgreich zu sein, ohne gut reiten zu können.
Man kann gewiss andere Leute bezahlen oder überreden, für einen zu kochen und einen zu fahren, und Gespür für Pferde ist im 21. Jahrhundert absolut optional.
Dasselbe gilt für das Lesen! Ein Schlüssel zum Erfolg von Sir Richard Branson ist, dass er Leute einstellt, um die Dinge tun, die er selbst nicht so gut kann. Im 21. Jahrhundert muss man sich nicht einmal einen persönlichen Assistenten leisten können. Selbst wenn die modernste Vorlese-Software nicht in Frage kommt - online gibt es kostenlos brauchbare Alternativen.
Wie Justine McConville sagt (erinnern Sie sich, in diesem Gespräch, das Sie sich anhören sollten, sobald Sie dies zu Ende gelesen haben): „es ist normal, dass Menschen Gehirne haben, die in manchen Dingen besser als in anderen sind - das gilt für jeden einzelnen Menschen.“
Warum sollte man die Gehirne aussortieren, die beim Lesen mit den Augen nicht gut sind?
Wenn die Schulen darauf bestehen würden, dass jedes Kind jeden Tag erst einmal ein gekochtes Frühstück nach einem neuen Rezept zubereitet, bevor es irgendetwas anderes lernen kann, dann wäre Dyskulinaria eine bedeutende Lernstörung. Genauso wäre es, wenn alle Jugendlichen hinterm Steuer eines Autos zur Schule kommen müssten, oder wenn es keinen Zugang zum Schulgelände gäbe, ohne jeden Tag dorthin zu reiten.
Heutzutage muss man optimale Bildung nicht mehr von der Fähigkeit, mit den Augen lesen zu können, abhängig machen.
Es ist wichtig daran zu denken, dass junge Menschen womöglich besonders anfällig gegenüber zusätzlichem Druck im Zusammenhang mit ihrer Lesekompetenz sind, wenn sie aus sozial oder wirtschaftlich benachteiligten Familien stammen und bereits mit systemischem Rassismus oder anderen Formen von Vorurteilen und Unterdrückung zu kämpfen haben, die sich auf ihre Selbstwahrnehmung auswirken.2
Die gut gemeinten Bemühungen, „kein Kind zurückzulassen“, können furchtbar nach hinten losgehen, vor allem bei Kindern aus finanziell schwachen Elternhäusern, die eigentlich mehr Zeit zum Spielen brauchen und mehr Gelegenheiten, um ihre eigene Selbstwirksamkeit zu erfahren. Es ist interessant, dass kleine Sudbury-Schulen einem „reichhaltigen häuslichen Umfeld“ sehr ähnlich sind und daher für benachteiligte jungen Menschen eine Art natürliche Fördermaßnahme darstellen, die ihnen die Chance bietet das nachzuholen, was ihnen in früheren Jahren gefehlt hat. Andererseits können Schulen, die junge Kinder unter Druck setzen, sich auf die Lese- und Schreibfähigkeiten zu konzentrieren, sie dadurch der Möglichkeit berauben, andere wichtige Fähigkeiten zu entwickeln.
Denn was wir tatsächlich brauchen ist jemand, der uns kostenlos hilft, wenn es doch mal notwendig ist, mit den Augen lesen zu können, und wir es nicht können, kein Geld und nicht einmal Zugang zu Vorlese-Software haben. Und da geht es um zwei andere Fähigkeiten: soziale Kompetenz und Selbstvertrauen.
In dem Maße, in dem die Umstände und die Erziehung in unserer Kindheit uns erlaubt haben, mit guten sozialen Fähigkeiten und intaktem Selbstvertrauen aufzuwachsen, wird es uns gut gehen. Schulische Erfahrungen, die diese beiden Fähigkeiten untergraben haben - wie z. B. sich Jahr für Jahr durch Förderklassen zu kämpfen - könnten der Nagel zum Sarg sein.
Zurück zu der Studie von Roger Clark über erfolgreiche Analphabeten.
Er hat den Schlüssel zum Verständnis gefunden, wie groß der Einfluss des künstlich hohen Stellenwertes des Lesens in unserer Gesellschaft ist, den die von der Schule verbreiteten kulturellen Mythen über Schule geschaffen hat.
Der „behindernde“ Faktor in ihrem Leben war nicht ihr Analphabetentum, son- dern das soziale Stigma des Analphabetentums. Dieses Stigma war so stark, dass es sogar ihre Motivation beeinträchtigte, sich weiterzubilden und ihre Lesefähigkeiten zu verbessern (erkennen Sie den Teufelskreis?)
Warum ist Analphabetismus mit einem Stigma behaftet? Weil Schulen die kulturelle Erwartung geschaffen haben, dass jeder lesen können sollte. Und den Glauben, dass es eine Schande ist, wenn man nicht lesen kann. Außerdem macht die Schule gutes Lesen mit den Augen zu einem Schlüssel, der den Rest der Bildung erschließt. Scheitert man daran, scheitert man auch bei allem anderen. Durch die künstliche Aufwertung des Augenlesens hat die Schule jede noch so kleine Leseschwäche zu einer vollwertigen Behinderung gemacht. Und vermutlich um Menschen, die gestresst sind und gar nicht dort sein wollen, zu „motivieren“, fördert die Schule auch den erschreckenden Mythos, dass mangelnder Erfolg in der Schule gleichzusetzen sei mit mangelndem Erfolg als Erwachsener.
In den Fällen, in denen ein selbstbestimmt lernender junger Mensch gestresst ist oder sich schämt, weil er noch nicht lesen kann, ist das für gewöhnlich auf negative Botschaften zurückzuführen, die von Leuten kommen, die nichts mit Selbstbestimmter Bildung zu tun haben; und Medien um sie herum, die diese Mythen verbreiten. Es ist möglich, dass sich das nicht nur auf das Selbstwertgefühl sich selbstbestimmt bildender Kinder auswirkt, sondern auch darüber hinaus, manchmal sogar so sehr auf die Moral, dass es den Erwerb des Lesens verzögert. Ich bin jedoch überzeugt, dass es ihnen, solange sie unter optimalen Bedingungen bei Selbstbestimmter Bildung bleiben, trotzdem besser geht, als wenn sie in der Regelschule wären.
Noch besser wäre es, jungen Menschen das Recht und die Möglichkeit zu geben, Bildungsoptionen ohne Zwang zu wählen, und zwar im Rahmen eines gesellschaftlichen Reframings von Dyslexie, für das sich MadeByDyslexia einsetzt; dann könnten wir ein ganz anderes Bild erhalten, wenn es um die Häufigkeit von Dyslexie - der vorteilhaften Neurologie - im Vergleich zur Legasthenie, der Lernbehinderung, geht.
Betrachten wir einige Zitate aus einem Artikel mit dem Titel „Dyslexia and inclusion: Time for a social model of disability perspective?“ (etwa: Dyslexie und Inklusion: ist es Zeit für die Perspektive des sozialen Modells von Behinderung?) von Barbara Riddick.3
Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse von Oliver und Barnes weist sie darauf hin, dass „obwohl Individuen Beeinträchtigungen haben können, diese nur durch die negativen Einstellungen der Gesellschaft, in der sie leben, zu Behinderungen werden. Aus dieser Sicht sind die Beeinträchtigungen, die der Legasthenie zugrunde liegen, nur durch die Entwicklung der massenhaften Alphabetisierung und der damit verbundenen negativen Konnotation des ‚Analphabetentums‘ zu einem bedeutenden Problem geworden. Da die massenhafte Alphabetisierung mit der massenhaften Schulbildung einherging, wurden die Begriffe ‚gebildet‘ und ‚belesen‘ in vielen europäischen Kulturen untrennbar miteinander verbunden.“
Sie führt weiter aus: „Der Grundgedanke der Inklusion ist, dass die Schule ihre Praxis ändert, um dem Kind gerecht zu werden... . . im Sinne der Inklusion würde dies bedeuten, dass neben einem Interventionsmodell, das sich auf die „Verbesserung“ der Leistung der Kinder konzentriert, auch ein soziales Modell in Betracht gezogen werden soll, das einige unserer Überzeugungen und Annahmen über Alphabetisierung in Frage stellt.“
Mit anderen Worten: Was wäre, wenn wir aufhören müssten, allen zu sagen, dass Schule für Bildung notwendig ist, und dass Lesen für Bildung notwendig ist? Der derzeitige Mythos besagt, dass dies eine Katastrophe wäre - keiner würde sich nicht mehr um das Lernen und das Lesen kümmern.
Die erlebte Realität Selbstbestimmter Bildung zeigt, dass das Gegenteil der Fall sein könnte. Befreit von künstlichem Druck könnte das Lesen eher zu einer universellen Fähigkeit werden, und Bildung könnte lebendiger und ein Leben lang weitergeführt werden.
Im Grunde geht es nicht um das Lesen, sondern um die Art und Weise, wie junge Menschen behandelt werden. Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, ihnen den Status eines Menschen zuzuerkennen - auch das ein Thema, das den Rahmen dieses Textes sprengen würde, das zu recherchieren ich Sie aber einlade. Nutzen Sie den Abschnitt ‚Zur weiteren Lektüre‘ als Ausgangspunkt dazu.
Fazit: Menschen sind Menschen, egal wie alt sie sind. Es ist ein großer Fehler, junge Menschen ‚wie Kinder‘ zu behandeln, in dem Sinne, dass man ihnen automatisch ohne ihr Einverständnis und gegen ihr Wohlergehen etwas aufdrängt, nur um des Komforts und der Bequemlichkeit der Erwachsenen willen. Ich wette mit Ihnen, dass das der Grund ist, warum es in Schulsystemen, die jungen Menschen paternalistisch Dinge auferlegen, so viel Legasthenie gibt, und wenig oder vielleicht sogar überhaupt keine in Schulsystemen, die das nicht tun.
Dyslektische Denker sind ungewöhnlich kreative und fähige Menschen. Was wäre,wenn... .
Was wäre, wenn sie in den meisten Fällen herausfinden können, wie sie Lesen lernenkönnen... .
. . . sogar besser als wir herausfinden können, wie wir ihnen zuverlässig beim Lernen helfen können? Was wäre, wenn. . . .
Was wäre, wenn wir. . . sie freilassen?
Oder, noch besser, sie FHREE lassen?4
Ich könnte mit all meinen Spekulationen und Hypothesen völlig falsch liegen. Oder andere könnten sich in Dingen irren, von denen sie derzeit absolut überzeugt sind. Dieses Buch ist nicht als letztes Wort in irgendeiner Angelegenheit gedacht. Was es ist, ist eine Einladung zur Erkundung einiger ziemlich wunderbarer Möglichkeiten.
Ich habe es schon einmal gesagt und werde es wieder sagen.
Niemand kann mit absoluter Sicherheit sagen, was im Hinblick auf Dyslexie und Legasthenie wahr ist und was nicht. Aber es kann auch keiner sagen, dass es die Mühe nicht wert ist, das herauszufinden.
Interdisciplinary Journal of Teaching and Learning Volume 3, Number 3Fall 2013 159 Educating Black Males With DyslexiaShawn Anthony RobinsonDoctoral CandidateCardinal Stritch University https://files.eric.ed.gov/fulltext/EJ1063059.pdf
Barbara Riddick (2001) Dyslexia and inclusion: Time for a social model of disability perspective?, International Studies in Sociology of Education, 11:3, 223-236, DOI:10.1080/09620210100200078