#6 Das Aha-Erlebnis verstehen - Dyslexie, Motivation und Scham
Was wäre, wenn Schule Legasthenie verursacht? von Je’anna L Clements
Haben Sie etwas Geduld mit mir. Ich muss hier in aller Kürze auf ein paar sehr komplexe Konzepte eingehen. Vielleicht schaffe ich das. Wenn nicht, gibt es einige Vorschläge im Abschnitt „Zur weiteren Lektüre“, um die Lücken zu füllen, die ich möglicherweise hinterlassen habe.
Dies sind die Teile des Puzzles, auf die ich gestoßen bin, und die Art und Weise, wie mein „wahrscheinlich dyslektisches“ Gehirn sie zusammengefügt hat.
1. Vom Verhaltens-Neurowissenschaftler Stephen Porges1 habe ich folgendes gelernt:
Wir müssen uns sicher fühlen, um gut lernen zu können.
Wir können uns nicht aussuchen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, wenn es gerade ums Überleben geht - die Gefahr lenkt unsere Aufmerksamkeit für uns. Je nachdem, wie sicher oder unsicher wir uns fühlen, werden unterschiedliche Neurochemikalien frei. Selbst ein niedriges Stressniveau, das von Beziehungen oder Situationen ausgelöst wird, die sich unsicher anfühlen, kann das Lernen beeinträchtigen.
Wenn wir Angst haben, passen sich unsere Ohren sogar so an, dass wir extrem hohe und tiefe Töne wahrnehmen können, die Gefahr signalisieren könnten - Knurren und Fauchen, knisterndes Feuer und ferne Schreie. Nur wenn wir entspannt sind, stellen sich unsere Ohren gut auf die normalen Bereiche der menschlichen Sprache ein.
Mit anderen Worten: Eine Person, die ängstlich ist oder befürchtet, beschämt zu werden, kann sich nicht gut konzentrieren. Abhängig von den Umständen wird ihr Körper ihr mitteilen, dass sie entweder kämpfen, fliehen oder abschalten soll. Im Klassenzimmer kann das aussehen wie herumalbern, sich aufspielen, abgelenkt sein oder herumträumen. Passiert es dauernd, wirkt es wie eine psychosomatische Krankheit, Schulverweigerung, Angst, Trotz, Abschalten oder Depressionen.
2. bei der Beschäftigung mit der Selbstbestimmungstheorie (SDT) von Deci und Ryan2 habe ich folgendes entdeckt:
a. Wir alle haben drei Grundbedürfnisse, die erfüllt sein müssen, damit wir uns sicher fühlen und leistungsfähig sind.
Diese drei Bedürfnisse sind für alle Menschen universell gültig (ja, das haben sie gründlich geprüft). Sie lauten:
Autonomie
meine eigenen Entscheidungen treffen, mein Leben selbst in die Hand nehmen und Dinge auf eine Weise zu tun, die sinnvoll ist und meiner Einzigartigkeit entspricht.
Kompetenz
das Gefühl, gut genug zu sein, fähig zu sein, das Notwendige bewältigen zu können.
Verbundenheit
Zugehörigkeit, Wertschätzung, sich verbunden fühlen und die Möglichkeit, sich um andere zu kümmern und wahrgenommen zu werden.
Insoweit diese Bedürfnisse erfüllt sind, werde ich in der Lage sein, Ihre Un- terstützung und Ihren Rat anzunehmen, und mich angespornt fühlen, das zu nutzen, was Sie mir anbieten. Wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt sind, werde ich Schwierigkeiten haben, Ihnen zu vertrauen, mich nicht motiviert fühlen und es wird mir schwer fallen, Ratschläge oder Unterstützung anzunehmen, die Sie mir geben wollen.
Von Deci und Ryan habe ich außerdem gelernt, dass:
b. intrinsische Motivation nachhaltig ist, extrinsische Motivation jedoch nicht.
meine eigenen Entscheidungen treffen, mein Leben selbst in die Hand nehmen und Dinge auf eine Weise zu tun, die sinnvoll ist und meiner Einzigartigkeit entspricht.
das Gefühl, gut genug zu sein, fähig zu sein, das Notwendige bewältigen zu können.
Zugehörigkeit, Wertschätzung, sich verbunden fühlen und die Möglichkeit, sich um andere zu kümmern und wahrgenommen zu werden.
Das bedeutet:
Wenn es meine eigene Idee ist und ich etwas aus meinen eigenen Gründen tun will, kann ich am Ball bleiben, alles Notwendige tun und mein Ziel erreichen.
Wenn es Deine Idee ist und Du mich überredest/ermutigst/belohnst/bedrohst, und ich es tun will, um Dir zu gefallen/zu gehorchen/die Belohnung zu bekommen/den Schmerz zu vermeiden, dann wird es mir sehr schwer fallen, am Ball zu bleiben, ich werde nur solange bei der Sache bleiben, wie Du mich aktiv zum Weitermachen anhältst, und es ist unwahrscheinlich, dass ich mein Ziel erreiche.
3. Nicht zuletzt habe ich durch die Lektüre von Csikszentmihalyis Arbeit über Flow3 dies gelernt:
Wir brauchen ein optimales Gleichgewicht zwischen den vorhandenen Fähigkeiten und dem Grad der Herausforderung.
Wenn wir das Gefühl haben, dass eine Herausforderung zu groß ist, um sie mit unseren derzeitigen Fähigkeiten meistern zu können, werden wir ängstlich und lassen uns nicht auf die Aufgabe ein.
Wenn unsere Fähigkeiten zu groß sind, um die Herausforderung zu bewältigen, langweilen wir uns.
Wenn eine Herausforderung genau die richtige Größe für unsere nächste Kompetenzstufe hat, sind wir so motiviert, dass es uns schwerfällt, uns nicht mit dieser Sache zu beschäftigen und zu lernen. Wir sind am rechten Platz. Wir glänzen. Wir lernen. Wir wachsen. Der Mensch genießt lernen mehr als fast alles andere. Deshalb meistern wir Dinge aus keinem anderen Grund als aus Liebe am Lernen.
Wir sehnen uns nach „Flow“-Zuständen, sie sind ein Schlüssel zu unserem Glück und Wohlbefinden. Wenn bestimmte Aktivitäten uns keine Flow-Zustände verschaffen, entscheiden wir uns für diejenigen, die uns Flow-Zustände verschaffen. Wenn unser allgemeines Angstniveau hoch ist, wählen wir Dinge, die nur eine geringe Herausforderung darstellen. Erst wenn wir uns sicher fühlen, sind wir in der Lage, uns auf Dinge einzulassen, die ein höheres Maß an Herausforderung bieten.
Zu guter Letzt, wenn es um Druck geht: wenn wir erst einmal selbstbewusst sind und für etwas hochqualifiziert, kann uns ein wenig Druck helfen, Höchstleistungen zu bringen. Aber während wir noch damit kämpfen, eine Fähigkeit zu erlangen, kann Druck alles zunichte machen. Das kann dazu führen, dass wir uns schämen und unfähig fühlen, und es fast unmöglich machen, unsere Fähigkeiten zu verbessern.
Wenn wir das Gefühl haben, dass eine Herausforderung zu groß ist, um sie mit unseren derzeitigen Fähigkeiten meistern zu können, werden wir ängstlich und lassen uns nicht auf die Aufgabe ein.
Wenn unsere Fähigkeiten zu groß sind, um die Herausforderung zu bewältigen, langweilen wir uns.
Und so schließt sich der Kreis zu dem, was ich bei der Lektüre von Porges gelernt habe.
Zusammengefasst: Versuchen Sie, jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun, von dem Sie glauben, dass es gut für ihn ist, und zwar so, wie Sie es für richtig halten, während Sie die Verantwortung behalten, dann:
untergraben Sie die Beziehung und erschweren es damit dem anderen, Ihr Angebot anzunehmen,
erschweren Sie es ihm dadurch, motiviert und engagiert zu bleiben,
erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass er schlechte Ergebnisse erzielt,
machen Sie es wahrscheinlicher, dass er sich beschämt fühlt,
machen Sie es wahrscheinlicher, dass er ängstlich wird,
erschweren Sie es ihm, sich auf die Aufgabe einzulassen, und Sie untergraben die Beziehung weiter. . .
Andererseits: Erlauben Sie jemandem, das zu tun, was er für sinnvoll hält, in seinem Tempo und auf seine eigene Art und Weise, wobei er nach Belieben auf ihre Unterstützung zurückgreifen kann, dann
verstärken Sie das Gefühl der Sicherheit und der Verbundenheit,
erleichtern Sie es ihm somit, motiviert und engagiert zu bleiben,
erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass er gute Ergebnisse erzielt,
machen Sie es wahrscheinlicher, dass er sich kompetent fühlt,
machen Sie es wahrscheinlicher, dass er einen Flow-Zustand erlebt und
machen Sie es somit wahrscheinlicher, dass er nicht nur effektiv lernt, sondern auch, dass er die Freude am Lernen behält und weiterhin lernt und lernt und lernt...
Daraus folgt, dass es für jeden jungen Menschen schwieriger ist, Lesen zu lernen, wenn ihm ungefragt Leseunterricht erteilt wird, als wenn er eine echte Wahl hat.
Wenn er dann noch auf eine Art und Weise unterrichtet wird, die nicht seinem Lernstil entspricht, wird es noch schwieriger.
Wenn das dann auch noch zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sein Gehirn noch nicht dafür bereit ist, wird es noch schwieriger.
Wenn dann auch noch ein Umfeld dazukommt, in dem er sich unter Druck gesetzt und womöglich gar beschämt fühlet und in dem die Beziehungen wackelig sind, wird es fast unmöglich.
Und wenn dann auch noch ein dyslektisches Gehirn dazukommt. . .
Andererseits. . . Es gibt kein kritisches Zeitfenster, um Lesen zu lernen. Den größten Erfolg verspricht der Moment, in dem jemand es von sich aus lernen WILL - egal ob mit 4, 7, 11 oder 14 Jahren, oder sogar als Erwachsener, wie Ameer.