Sicher meinen wir doch alle die selbe Sache?
Wir leben in einer Welt, in der es von Schlagwörtern nur so wimmelt: "Freiland", "Bio", "natürlich", " selbstbestimmtes Lernen", "demokratische Schule", "Freie Bildung", "Freilernen"...
Aber ist das wirklich so?
Einer der Gründe warum ich in meinen Podcast immer wieder meinen Gästen Fragen stelle wie: “Was bedeutet Bildung für dich?” ist, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass es eben nicht selbstverständlich ist dass wir mit Begriffen wie “Selbstbestimmung”, “Demokratie”, “Rechte”, “Bildung”, “Lernen”, “Freiheit”, usw. zwangsläufig das selbe darunter verstehen.
Wenn es um Bildung geht wird mit allen möglichen Begriffen jongliert, ob jetzt von Seiten der Schulbehörden, Presse oder in “alternativen” Bildungskreisen.
Nehmen wir z.B. “selbstbestimmtes Lernen”… Was genau soll dies bedeuten? Dazu mag ich hier kurz zitieren was Scott David Gray zu der Begrifflichkeit im Blog der Sudbury Valley School zu sagen hatte:
“Denke über die Worte nach. Der Begriff " selbstbestimmtes Lernen" behauptet implizit, dass Lernen gelenkt werden kann; dass es kein organischer Prozess ist, sondern ein organisierter, geplanter und gelenkter. Ein Gärtner kann eine Pflanze nicht zum Wachsen bringen. Entweder befindet sich die Pflanze in einer Umgebung, die ihr Wachstum fördert, oder nicht. Das Beste, was der Gärtner tun kann, ist, eine Umgebung zu schaffen, in der das Wachstum einfacher ist.
Selbstbestimmtes Lernen ist aus genau demselben Grund unmöglich, aus dem fremdbestimmtes Lernen unmöglich ist. Kein Lehrer kann das Lernen steuern, kein Schüler kann das Lernen steuern. Niemals. Lernen ist einfach das, was passiert, wenn wir leben, über die Welt um uns herum nachdenken, Verbindungen zu Ideen herstellen und Modelle der Welt aufbauen.”
Oder “Freie Bildung”? Da stellt sich mir gleich die Frage: “Frei von was?” Hier ein Beispiel aus dem Buch “Verzweifelte Argumente gegen freie Bildung” (Desperate arguments against free education)
“Es gibt viel über die Idee der freien Bildung zu diskutieren, denn sowohl über Bildung als auch über Freiheit kann man endlos abstrakt debattieren... …Es ist eine negative Definition, das heißt, sie drückt eine Abwesenheit aus. Ich beziehe mich auf die Abwesenheit der obligatorischen Schulbildung, die den Bürgerinnen und Bürgern auf der ganzen Welt durch ihre Nationalstaaten auferlegt wird. Etwas, das jeder gut kennt: die sogenannte " Schulpflicht".
Der Grund für diese Wahl ist die Tatsache, dass diese Verpflichtung ein sehr objektives und universelles Hindernis für die Entwicklung besserer Bildungserfahrungen durch die Gesellschaft ist. Deshalb bezeichne ich freie Bildung nicht als eine Art von Bildung, sondern als die Verteidigung des Existenzrechts für alle Arten von Bildung.”
Kurz ausgedrückt wie ich diese negativ Definition von Flavio Amaral verstehen würde, wäre dass “Freie Bildung” bedeutet, dass diese frei von Zwang ist. Das ist bestimmt nicht das was jeder andere unter “freier Bildung” verstehen würde? Oder? (Schreib gerne deine Gedanken dazu in die Kommentare)
Im original Text wird von “mandatory education” gesprochen… Allein die Frage wie ich dies genau übersetzen sollte ist nicht so einfach zu beantworten. Allein im Deutschsprachigen Raum werden in dem Zusammenhang unterschiedliche Begriffe im Gesetzlichen Rahmen genutzt die wiederum nicht klar definiert sind… Schulpflicht? (In Deutschland) Wer ist hier zu was verpflichtet? Bildungspflicht? (In Österreich) Die selbe Fragen stellen sich hier? Plus was ist Bildung? Unterrichtspflicht…? 🤷♂️ Dies ist ein anderes Thema dem ich mich bei Gelegenheit gerne widmen mag…
Worum es mir hier jetzt nicht geht, ist all diese Begriffe für die ganze Welt festzulegen und jemanden hier zu belehren.
Die oben im Untertitel aufgeführten Wörter sind meist positiv besetzt. Positiv besetzte Wörter sind ein gutes Marketing. Positiv klingende Ideen sind Dinge, die wir unterstützen und verkörpern wollen.
Das Problem ist, dass wir, wenn wir uns zu etwas hingezogen fühlen, fälschlicherweise annehmen können, dass unsere positiven Gefühle einer Erkenntnis gleichkommen, und es übernehmen, bevor wir es wirklich verstanden haben.
Ich treffe heute oft Menschen, die sich sicher sind, dass sie "Selbstbestimmte Bildung" fördern, weil sie problemorientiertes Lernen vorschreiben oder die Kinder anweisen, selbstständig an den ihnen zugewiesenen Projekten zu arbeiten, oder ihnen die Wahl lassen, was sie nach Abschluss ihrer vorgeschriebenen Arbeit tun wollen, oder ihnen erlauben, persönliche Interessen und Projekte oder ihre eigene Zeitwahl zu nutzen, um das zu lernen, was sie lernen "müssen", oder die Kinder "alternative Fächer" lernen lassen, anstatt der regulären Fächer, die in den meisten Schulen üblich sind.
Natürlich ist das alles keine echte Selbstbestimmte Bildung, genauso wenig wie ein Huhn, das in seinem Käfig gerade genug Platz hat, um mit den Flügeln zu schlagen, wirklich "freilaufend" ist.
Aus diesen Gründen setzt sich die Allianz für Selbstbestimmte Bildung dafür ein, den Begriff "Selbstbestimmte Bildung" als Marke mit besonderen Merkmalen zu schützen. Obwohl es dem Geist der Selbstbestimmten Bildung widerspricht, auf Zertifizierungsverfahren zu bestehen, die denen ähneln, die heute für Bio-Rindfleisch verwendet werden, ist es jetzt möglich, selbst zu prüfen, ob man tatsächlich "Selbstbestimmte Bildung" praktiziert.
Aus diesem Grund mag ich auch hier auf meinem Substack solche Texte zur verfügung stellen in Deutscher Übersetzung und dich ermutigen diese zu nutzen zur Selbsteinschätzung.
Das Problem ist nur, dass man bereits genug über die Selbstbestimmte Bildung wissen muss, um zu wissen, dass diese Selbsteinschätzung möglich ist, und um zu erkennen, dass es sich lohnt, sie durchzuführen.
Texte der Alliance for Self-Directed Education:
Mich interessiert deine Meinung zu diesem Thema. Lass uns in den Kommentaren versuchen einen konstruktiven und wertschätzenden Dialog hierzu zu führen. Was sind deine Erfahrungen? Zu welchen Begriffen würde euch ein ausführlicherer Artikel interessieren?
Quellen:
https://sudburyvalley.org/blog/self-directed-learning
https://www.researchgate.net/publication/359801972_Desperate_arguments_against_free_education
https://www.self-directed.org
Oh, das sind wichtige Fragen, die Du hier stellst. Da weiß man gar nicht so genau, wie man an alles ran gehen soll. Für Deutschland gilt erstmal, dass freie Schule bedeutet, dass sie zunächst frei ist von Regelmentierungen durch den Staat. Was natürlich am Ende gar nicht so ist, weil auch freie Schulen staatlich genehmigt werden müssen, und von daher, muss sich auch jede freie Schule bestimmten Vorgaben beugen. Und dennoch ist an freien Schulen mehr möglich als an staatlichen. Inwieweit freie Schulen jedoch immer selbstbestimmt sind, oder was genau selbstbestimmt ist, das ist natürlich eine Frage der Ansicht und des Bewusstseins. Für viele ist es schon der Fakt, dass es keine Noten, keine Klassenarbeiten oder keinen klassischen Fächerkanon gibt. Ja bitte, lass uns darüber diskutieren. Letztlich glaube ich, dass es in einem geregelten System, dass den ein oder anderen Ausbrecher aktzeptiert, im Rahmen einer irgendwie gearteten Schule keine Selbstbestimmung geben kann. Und ich stimme dir auch zu, dass Lernen, so oder so, passiert, da es eine dem Menschen inhärente Fähigkeit ist, die eigentlich nie ausgeknipst werden kann. Dennoch glaube ich, dass es im Allgemeinen wenig Selbstbestimmung in unserer vergesellschafteten Welt gibt. Hinter jedem Zwang, den wir ablegen - oder auch manchmal negieren - wird ein neuer sichtbar. Ist ein kompletter Ausstieg möglich? Ist er nötig? Auch mir stellen sich Fragen über Fragen. Und ich finde es gut, dass es diese Fragen gibt. Solange ich Fragen habe, bin ich lebendig. Also, lass uns Fragen stellen, Antworten finden, neue Fragen stellen und leben. :-)