Teil 2 - Was braucht die Selbstbestimmte Bildung, um zu funktionieren und warum?
2.1 Ursprüngliche menschliche Bildung erfüllt auch die Menschenrechte
"Nach einem langen Kampf im 19. Und im 20. Jahrhundert bekamen die Frauen die meisten ihrer Rechte. Deshalb denke ich, dass es im 21. Jahrhundert an der Zeit ist, unseren Kindern ihre Rechte und Freiheiten zu geben."
- Peter Hartkamp
Wie der Evolutionspsychologe Dr. Peter Gray bei seinen Forschungen zur Selbstbestimmten Bildung feststellte, ist die Selbstbestimmte Bildung die älteste und ursprünglichste Form der menschlichen Bildung.
Die Selbstbestimmte Bildung, die heute als hochmoderne Innovation gilt, die perfekt für den digitalen Raum und eine ungewisse Zukunft geeignet ist, ist in Wirklichkeit eine Rückgewinnung und Aktualisierung dessen, was wir schon immer getan haben.
In Anlehnung an die Permakultur, die Biomimikry und die Initiativen zur Nutzung natürlicher Energien tut die Selbstbestimmte Bildung das, was die Natur schon immer getan hat - nur eben mit Absicht und selbstreflektierendem Bewusstsein, um das Beste aus dem Alten und Natürlichen herauszuholen, und zwar auf eine Art und Weise, die durch unser heutiges Wissen gestärkt und verbessert wird.
Alle Säugetiere sind darauf ausgelegt, durch Spielen zu lernen. Das ist bereits eingebaut. So wie ein Samenkorn keimt und wächst, wenn es die richtigen Bedingungen vorfindet, ohne dass wir daran ziehen und zerren müssen, lernt und wächst ein junger Mensch, wenn er das bekommt, was er braucht, ohne dass wir ihn dazu zwingen und drängen.
Was ist es also, was sie brauchen - und warum?
Erstens müssen sie intakte Menschen sein, mit einem gesunden Gehirn und all den eingebauten Antrieben, die das Lernen ermöglichen. Glücklicherweise hat fast jeder junge Mensch das Zeug dazu, solange seine Grundbedürfnisse erfüllt sind.
Dr. Peter Gray hat die vier „Bildungsantriebe“ wie folgt zusammengefasst:
Neugier
Spielfreude
Soziabilität
Planbarkeit
(Und natürlich ist die Autonomie so selbstverständlich, dass er sie nicht in die Liste aufnimmt. Jeder Mensch hat den Drang, die Dinge auf seine Weise und für sich selbst zu tun).
Neurodiversität, körperliche Unterschiede, so genannte Lernstörungen, Temperamentsunterschiede und unterschiedliche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Hintergründe haben keinen großen Einfluss auf das Potenzial eines Menschen, durch Selbstbestimmte Bildung zu lernen, solange die ersten drei dieser Antriebe ausreichend vorhanden sind - und das ist bei fast allen von uns von Geburt an der Fall. Der vierte Antrieb, die Planmäßigkeit, entwickelt sich im Laufe der Zeit durch die Erfahrung der Selbstbestimmten Bildung.
Die Zwangsbeschulung, allgemein bekannt als Schule, scheint diese Antriebe jedoch zu schädigen. In vielen Schulen werden Neugier, Spielfreude, Soziabilität und Planbarkeit so gründlich unterdrückt, dass es fast so aussieht, als ob diese Systeme aktiv darauf ausgelegt wären, die Selbstbestimmung zu verhindern. Und angesichts der sozialplanerischen Ziele vieler „Bildungs“-Initiativen ist das vielleicht tatsächlich so.
Die Menschenrechte sollen das schützen, was ein Mensch zum Überleben und Gedeihen braucht, wie körperliches Wohlbefinden, Sicherheit, Freiheit und Würde. Wenn unsere Menschenrechte nicht respektiert werden, kann dies zu körperlichen und geistigen Schäden und Traumata führen. (Weitere Informationen zu Menschenrechten und Selbstbestimmter Bildung findest du im Anhang 8.2 und 8.3).
Wenn junge Menschen einer Zwangsbeschulung ausgesetzt waren und dadurch viele ihrer Rechte verloren haben, brauchen sie eine gewisse Zeit, um sich zu erholen und ihre Bildungsantriebe zu stärken und wieder aufleben zu lassen. Dies wird oft als „Deschooling“ bezeichnet.
Der beste Weg, jungen Menschen beim Deschooling zu helfen, ist glücklicherweise genau derselbe, wie der beste Weg, junge Menschen bei ihrem selbstbestimmten Bildungsprozess durch Selbstbestimmte Bildung zu unterstützen. Das bedeutet, dass wir als Lernbegleiter/innen für die Selbstbestimmte Bildung einfach die gleichen Bedingungen für alle jungen Menschen schaffen können. Anders als ein beschädigtes Samenkorn können Menschenkinder ihre Bildungsfruchtbarkeit wiedererlangen.
So viel zum Samen. Was ist mit dem Boden?
Oder einfacher ausgedrückt: Wenn fast jeder junge Mensch durch Selbstbestimmte Bildung lernen kann, welche Bedingungen müssen wir dann schaffen, um sie dabei effektiv zu unterstützen?
Peter Gray hat in seinen Studien sechs „optimierende Bedingungen“ ermittelt, die junge Menschen beim Lernen durch Selbstbestimmte Bildung unterstützen.
Als Lernbegleiter/innen der Selbstbestimmten Bildung ist es unsere Aufgabe, diese Bedingungen zu schaffen und zu schützen.
Sie sind:
Die gesellschaftliche Erwartung (und Realität), dass Bildung in der Verantwortung der Kinder liegt
Unbegrenzte Zeit zum Spielen, Entdecken und Verfolgen der eigenen Interessen
Die Möglichkeit, mit den Werkzeugen der Kultur zu spielen
Zugang zu einer Vielzahl von fürsorglichen Erwachsenen, die Helfer und nicht Richter sind
Freie Altersmischung unter Kindern und Jugendlichen
Eintauchen in eine stabile, unterstützende und respektvolle Gemeinschaft
Um diese Bedingungen effektiv und ausreichend zu schaffen, ist es für Lernbegleiter wichtig zu verstehen , warum diese Bedingungen wichtig sind.
Um zu verstehen, warum diese Bedingungen die Selbstbestimmte Bildung optimieren, müssen wir kurz darauf eingehen, was wir inzwischen über die Funktionsweise des Menschen wissen.
Schauen wir uns zunächst die menschliche Biologie, dann die menschliche Psychologie und schließlich die menschliche Kultur an.